Theodor Däubler ( 1876 - 1934 )







 

Versuchen Sie einmal in Däublers Gesichtszügen zu lesen, was nirgendwo geschrieben steht! Meine Aktion, im Literarischen Colloquium Berlin am 3. Okt. 1996, trug den schönen Titel: QMDK 4C554D494E4553ZEN5A, eine Abkürzung, die länger ist als das abgekürzte Wort.....  Mit von der Partie war Klaus Dieter Krause (Berlin), der mir assistierte. Das Ergebnis, eines Experimentes mit Däublers Stimme, wurde inzwischen auch verlegt:



Ein Begriff des Experimentellen. (Hrsg.): Stephan Wunderlich 
Mit imaginären Beiträgen von Thomas Thiemann (Potsdam), Jean-Pierre Derendinger (Neuchâtel), Hermann Nicolai (Potsdam), Steven Gubser (Boston), Bernhard de Wit (Utrecht), Monab Abou-Zeid (Potsdam), Sergio Ferrara (Genf), Anna Ceresole (Turin), Michael Flohr (London), Ergin Sezgin (Texas), Peter van Nieuwenhuizen (New York), Murat Günaydin (Pennsylvania), Michael Green (Cambridge), Nicholas Warner (Genf), Shimon Yankielowicz (Tel Aviv), Nathan Seiberg (Princeton), Edward Witten (Princeton), Markus Pössel (Potsdam), Kilian Koepsell (Potsdam), Jürgen Ehlers (Potsdam), Lance Dixon (Stanford), Jorma Lonko (Potsdam), Steven Duplij (Ukraine), Peter Bowcock (Durham), Samson Shatashvili (USA), Matthias Staudacher (Potsdam), Ignatios Antoniadis (Paris), Robbert Dijkgraaf (Amsterdam), Joaquim Gomis (Barcelona), Ferdinand Alexander Bais (Amsterdam), Bernard Schutz (Potsdam), Dieter Lüst (Berlin), Costas Bachas (Paris), Yoichi Kazama (Tokio), Juan Manes (Bilbao), Bert Schellekens (Amsterdam), David Gross (Santa Barbara), Jens Hoppe (Potsdam), Olaf Lechtenfeld (Hannover), Wolfgang Lerche (Genf), Riccardo D'Auria (Turin), Maria Lledo (Turin), Gary Horowitz (Santa Barbara), Jan Louis (Halle), Juan Maldacena (London) und Augusto Sagnotti (Rom). 
Erschienen sind bisher Heft 1 - 11: Michael Kopfermann, Otfried Rautenbach, Hans Essel, Helmut Berninger, Theaterprojekt Milbertshofen, Jost Muxfeldt, Hans Rudolf Zeller, Albert Mayr, Hans-Leo Rohleder, Jörg Burkhard und René Bastian.
© 2001 Musikverlag Stephan Wunderlich, Postfach 431317, D-80743 München
(ISBN 3-923551-09-6)




Däubler, Theodor, * 17. 8. 1876 Triest, † 13. 6. 1934 St. Blasien/Schwarzwald; Grabstätte: Berlin-Westend, Waldfriedhof Heerstraße. - Lyriker u. Epiker, Verfasser von Romanen, Novellen u. Erzählungen.

Der Sohn einer wohlhabenden, aus Augsburg stammenden Kaufmannsfamilie wuchs zweisprachig im damals österr. Triest auf. Bis 1900 lebte er in verschiedenen ital. Städten u. begann am Fuß des Vesuvs mit der Niederschrift seines Haupt- u. Lebenswerks, des Epos Das Nordlicht. 1901 übersiedelte D. nach Paris, wo er sich intensiv mit Bildhauerei, Malerei u. Baukunst beschäftigte; er verkehrte in Künstlerkreisen, kämpfte für den Impressionismus (Im Kampf um die moderne Kunst. Bln. 1919) u. setzte seine Arbeit am Nordlicht fort. 1910 erschien das Werk in der dreibändigen »Florentiner Ausgabe« (Das Nordlicht. Mchn./Lpz. 1910). Im selben Jahr entstand in Porte de Marmi in der Toskana D.s erstes Prosawerk Wir wollen nicht verweilen (Mchn. 1914) mit autobiographischen Fragmenten. Während des Kriegs arbeitete er in Dresden, dann meist - vom Militär freigestellt - in Berlin als Kunstberichterstatter. 1920 schrieb D. in der Schweiz an der »Genfer Fassung« des Nordlichts (Leipzig 1921). 

Zurückgekehrt nach Deutschland, erhielt er eine Einladung nach Griechenland, wo er bis 1925 - u. a. in Athen - blieb. Durch die Lektüre von Platons Werken angeregt, verfaßte er in Griechenland Attische Sonette (Lpz. 1924), eine Sammlung von 60 Sonetten, in denen die »Entfaltung des Menschen zur Sonne« im Mittelpunkt steht. Verknüpft mit der griech. Mythologie, sah D. in der griech. Landschaft, in »Athen, Attika, Hellas« den Ort der Entfaltung, das Ziel der Sehnsucht. Sein Griechenlandbuch, an dem er in diesen Jahren arbeitete u. in dem er »eine neue Auseinandersetzung mit der Antike wagen« wollte, blieb unvollendet; zwei Teile erschienen u. d. T. Der heilige Berg Athos. Eine Symphonie III u. Sparta. Ein Versuch (beide Lpz. 1923). Neben einigen Essays über Griechenland begann er erneut Das Nordlicht zu überarbeiten. Diese dritte, bisher ungedruckte Fassung, die »Athener Ausgabe«, vollendete er erst 1930 in Frankreich.

Ab 1927 war wieder Berlin D.s ständiger Wohnsitz. Er wurde zum Präsidenten der 1926 gegründeten Deutschen Sektion des PEN-Clubs gewählt u. fand Aufnahme in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. Von seinen Verlegern fühlte sich der in materieller Not lebende D. zeitlebens im Stich gelassen; in einer seiner Tagebucheintragungen heißt es: »Vorträge meistens gratis, es lohnt sich nicht, die Reisen zu machen.« Dennoch unternahm der »ungetümliche Wanderpoet« (Ernst Barlach) weiterhin Reisen, hielt Vorträge in Ost- u. Mitteldeutschland u. pendelte trotz seines schlechten Gesundheitszustandes 1931/32 wieder zwischen Italien, Griechenland, Deutschland u. Österreich, 1932 wurde bei D. eine schwere Tuberkulose diagnostiziert, der er zwei Jahre später erlag.

Dem literar. Expressionismus zugerechnet, zeigt sich D. mehr als schöpferischer, wortgewaltiger Erneuerer romant. u. klass. Dichtkunst. Geprägt durch seine Reisen, bes. sein Griechenland- u. Italienerlebnis, durch die südl. Landschaft, Kultur u. Geschichte sowie die antike Mythologie finden sich in seiner Literatur deutlich mediterrane Anklänge. Das Nordlicht, sein mit expressionistischem Pathos erfülltes Hauptwerk, enthält die bestimmenden Formelemente u. Themen von D.s Poesie: die Verdichtung verschiedener Mythen, die Liebe zu Reim, Rhythmus u. Versform, eine oft überwuchernde Symbolik, hymnische Sprache u. ein großer Bilderreichtum. Dieses lyrisch-kosmische Epos von 30000 Versen entfaltet D.s privaten Mythos des zur Lebensquelle verklärten Sonnenlichts u. versucht die Entzweiung mit der Erde wortgewaltig aufzuheben. In Bildern u. Visionen wird die Einheit beschworen, die Sonne mit dem Geist schlechthin gleichgesetzt. »Ich habe eine Anschauung des Daseins gelehrt, die endlich wieder nach allen Vernichtungspredigten hinaufführt.« (Däubler) Wortgebilde wie »Urglutbrunstunschuld« oder »Schluckgurgelwirbel« bezeugen auch seine spielerische Phantasie in diesem monumentalen mythischen Weltgedicht. Die Unzugänglichkeit der Verse, die nicht durch eine einheitl. »Handlung« verbunden sind, sondern allein durch das lyrische Ich zusammengehalten werden, bestimmte die eher ablehnende Kritik. Die Reihung abendländ., fernöstl. Mythen sowie alttestamentar. Ideen führt zu einer neuen umgreifenden kosmischen Mythologie, zur »Rettung der Menschheit durch den Geist im Geist« (Carl Schmitt). Die geringe Beachtung veranlaßte D. zu weiteren Fassungen seines Epos. Zur zweiten, der »Genfer Ausgabe«, schrieb er eine Einführung, die das Verständnis erleichtern u. das Werk geschichtsphilosophisch deuten sollte. In der dritten, bisher ungedruckten »Athener Ausgabe« versuchte er, sein Werk zu erläutern.

WEITERE WERKE: Ode u. Gesänge. Bln. 1913. - Der sternhelle Weg. Dresden-Hellerau 1915 (L.). - Hymne an Italien. Mchn./Lpz. 1916 (L.). - Der neue Standpunkt. Dresden-Hellerau 1916 (Ess.s). - Lucidarium in arte musicae des Ricciotto Canudo aus Gioja del Colle. Hellerau 1917 (Ess.s). -Hymne an Venedig. Bln. 1918. - Die Treppe zum Nordlicht. Eine Symphonie II. Lpz. 1920. - Der unheiml. Graf. Der Werwolf. Die fliegenden Lichter. Hann. 1921 (N.n.). - Päan u. Dithyrambos. Lpz. 1924. (L.). - Der Schatz der Insel. Bln./Wien/Lpz. 1925 (E.). - Aufforderung zur Sonne. Chemnitz 1926 (Autobiogr.). - L'Afri-cana. Bln. -Grunewald 1928 (R.). - Der Marmorbruch. Lpz. 1930 (E.). - Die Göttin mit der Fackel. Bln. 1931 (R.). - Can Grande della Scala. Lpz. 1932 (D.). -  Ein Lauschender auf blauer Au. Mchn. 1963 (L.).

LITERATUR: Hanns Ulbricht: T. D., eine Einf. in sein Werk u. eine Ausw. Wiesb. 1951. - Werner Hüllen: Mythos u. Christentum bei T. D. Versuch einer Darstellung u. Deutung seines Werkes. Diss. Köln 1951. - Hans Eicke: Das Symbol bei T. D. Diss. Bln. 1954. - Reinhold Lohn: Der bildhafte Ausdruck in den Dichtungen T. D.s. Diss. Bonn 1957. - Hannelore Wegener: Gehalt u. Form v. T. D.s dichter. Bilderwelt. Diss. Köln 1962. - Joachim Müller (Hg.): Die Akte T. D. Bln./Weimar 1967. - Herbert Wehinger: Sprache u. Stil T. D.s. Diss. Innsbr. 1973. - Friedhelm Kemp u. Friedrich Pfäfflin: T. D. 1876-1934. Marbach 1984.

Kristina Pfoser-Schewig
[Autoren- und Werklexikon: Däubler, Theodor, S. 1 ff. Digitale Bibliothek
Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 3757 (vgl. Killy Bd. 2, S. 508 ff.)




1916 schrieb der Freund-Feind-Theoretiker Carl Schmitt:

...Freilich geht auch Däubler gewaltsam mit der Sprache um; doch faßt er sie in ihrem Wesen und bleibt diesem treu. Wagners Gewaltsamkeit richtet sich eigentlich auch nicht gegen die Sprache, sondern gegen die Musik, die als Sockel für das gedankliche Programm herbeigeschleppt wird. Däubler dagegen dringt ganz in die Sprache hinein, um die Schönheit aus ihr zu entfalten. Wagners musikhistorische Theorie, mit der er sein Gesamtkunstwerk legitimieren wollte, weil alle Musik nur gehobene, feierliche Sprache sei, dürfte überhaupt nicht zu dem Schlusse führen, daß die Musik, die längst selbständig und absolut geworden ist, unter Berufung auf ihre Geschichte wieder zur Sprache werden soll. Denn die (ästhetische) Natur der Musik hat mit ihrer psychologisch-historischen Entstehung nichts zu tun. Hier begegnet Wager die symptomatische Verwechslung der Ewigkeit mit der Steinzeit, während gerade der eminente Historiker Däubler solchen Irrtümern nicht ausgesetzt ist. Er holt vielmehr alles, Farbe, Klang, inhaltliche Beziehung, aus der immanenten Fülle der Sprache heraus. Oft löst er sie vollständig in Klangwerte auf, neben denen der Inhalt nur adminikulierend in Betracht kommt. Die absolute Musik der Sprache, die Farben der Vokale und Konsonanten wirken sich selbst das lebendige Kleid dichterischer Schönheit.
Die Sprache des täglichen Lebens wird beherrscht durch den Zweck: sich einem andern verständlich zu machen, eine Gemeinschaft mit ihm herzustellen, die durch eine utilitaristische Absicht ihren Sinn erhält. Das Soziologische der Sprache, die Beziehung ad alterum, der praktische Zweck ist das, was sie häßlich macht. Die Musik ist vor solcher Gefahr leicht bewahrt. In der Sprache des täglichen Lebens aber läßt sich kein Mythos dichten, nicht einmal ein schönes Gedicht; es wird entweder eine Banalität oder eine kunstgewerbliche Leistung.
Im "Nordlicht“ ist der Naturalismus der Sprache der Absicht nach überwunden. Die Sprache wird völlig zum ästhetischen Mittel, ohne Rücksicht darauf, was die gleichen Worte im täglichen Verkehr an Assoziationen mit sich führen. Ein solches Unternehmen, das eigene Reich der künstlerischen Sprache zu begründen, ist vielleicht das Kühnste und Sensationellste, was in der Geschichte irgendeiner Kunst je erlebt wurde....




CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Schmitt, Carl:
Theodor Däublers "Nordlicht": drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes / Carl Schmitt. - Unveränd. Ausg. der 1916 bei Georg Müller in München erschienenen Erstaufl. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 - ISBN 3-428-07092-5 - S.42/43




index ego aktionen positionen Kunst&Wahnsinn Q.M.D.K. däubler usw...