Der Philosoph Platon
(427-347 v. Chr.) sagt, ...dass es ursprünglich drei Geschlechter
von Menschen gegeben habe.
Das rein männliche Geschlecht stammte von der Sonne, das rein
weibliche von der Erde und das aus beiden gemischte vom Mond. Da
die ursprünglich kugelförmigen Menschen Kugeln
mit je vier Händen und Füßen, mit zwei einander
entgegengesetzten Gesichtern auf einem einzigen Kopf, mit vier Ohren
und zwei Schamgliedern schnellster Bewegung fähig und
mit großer Kraft ausgestattet waren, wurden sie selbst den
Göttern gefährlich.
Um nun ihren Übermut zu schwächen, zerschnitt der Göttervater
Zeus einen jeden von ihnen in zwei Hälften. Seitdem ging jede
Hälfte aufrecht auf zwei Beinen und trat mit sehnsüchtigem
Verlangen an ihre andere Hälfte heran, und sie schlangen ihre
Arme umeinander und hielten sich umfasst, voller Begierde, wieder
zusammenzuwachsen.
Als sie infolge der Sehnsucht nacheinander ihre wichtigsten Lebensbedürfnisse
vernachlässigten und auszusterben drohten, erbarmte sich Zeus
und versetzte ihnen die Geschlechtsglieder nach vorne bisher
trugen sie auch diese nach außen und erzeugten und gebaren
nicht ineinander, sondern in die Erde wie die Zikaden und
bewirkte dadurch die Erzeugung in einander, nämlich in dem
Weiblichen durch das Männliche, zu dem Zweck, dass, wenn dabei
ein Mann auf eine Frau träfe, sie in der Umarmung zugleich
erzeugten und so die Gattung fortgepflanzt würde; wenn dagegen
ein Mann auf einen Mann träfe, sie wenigstens von ihrem Zusammensein
eine Befriedigung hätten.
Jeder von uns ist demnach nur das Halbstück von einem (Kugel-)
Menschen, weil wir zerschnitten wie die Schollen, aus einem zwei
geworden sind. Daher sucht denn jeder beständig seine andere
Hälfte. Alle Männer also, die ein Schnittstück von
jener gemischten (mann-weiblichen; heterosexuellen) Gattung sind,
richten ihre Liebe auf die Frauen, und die meisten Ehebrecher sind
von dieser Art, und ebenso wiederum die Frauen, die mannsüchtig
und zu Ehebruch geneigt sind.
Alle Frauen aber, die ein Schnittstück von einer Frau sind,
richten ihren Sinn nur wenig auf die Männer, sondern wenden
sich weit mehr den Frauen zu, und die mit den Frauen buhlenden Frauen
stammen von dieser (weiblich-weiblichen; lesbischen) Art.
Gerhard J. Bellinger
Professor für Religionsgeschichte
in dem 1993 bei Droemer Knaur erschienenen
Im Himmel wie auf Erden - Sexualität in den Religionen
der Welt
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