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Wo Freiheit beginnt

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Wo Freiheit beginnt
von Diana P. Bailey

Es ist angenehm, mit ihr in den Herbstmorgen hineinzufahren. Sie riecht nach frischer Wäsche und ein wenig nach Amber. Wir sitzen auf der Sonnenseite der Bahn, lächeln uns zu. Unsere mantelbedeckten Oberschenkel berühren sich; ab dem Königsplatz haben die Arme Kontakt. Es ist eine leise Zärtlichkeit und sehr intensiv. Genuss für uns beide. Ich höre es an ihrem Atem.
Sie verabschiedet sich, und ich steige mit ihr aus, eine Station zu früh, egal, ich habe Zeit, spreche sie an, fasziniert von ihrem Lächeln, ihrer angenehmen, dunklen Stimme. Eine Spur Kajal trägt sie um die Augen. Die Wimpern sind lang, dicht. Sie hat so ein Madonnengesicht, umrahmt vom dunklen Kopftuch, mit einem sehr kleinen, hübschen Mund.
Während wir die paar Meter bis vor ihr Haus gehen, erzählt sie, dass sie Mutter von vier Kindern ist, die zwei jüngsten Söhne, 17 und 15, wohnen noch zuhause, der Kleine kommt bald zum Essen. Unsere Blicke hängen ineinander, wir stehen da, wortlos, bis es schon albern wird.
Was will ich denn hier überhaupt, schießt es mir kurz durch den Kopf. Weiter kommt die Frage nicht. Meine Zellen schreien nach ihrer Zärtlichkeit. Ich verabschiede mich leicht verwirrt und zu überrascht, als dass ich ihr meine Karte geben würde; und erst schelte ich mich für mein Versäumnis, doch dann weiß ich mit Bestimmtheit, dass das Leben keine Telefonnummern braucht.

Ich nehme die letzte Bahn vor 11, sitze erwartungsvoll auf dem gleichen Platz wie tags zuvor. Altmarkt, jetzt müsste sie einsteigen, tut es nicht. Allein fahre ich im Sonnenschein weiter.
Sie jetzt irgendwo entdecken. Ich treibe mich vor ihrem Haus herum, dann auf der Straßenseite gegenüber. Nervös rauche ich und beschaue die Fenster des Gebäudes. Hinter welchen sie wohl wohnt? Mit fünf Männern, gütige Göttin!
Ich kann nicht ewig hier bleiben. Aus dem Gebäude hinter mir kommt eine ältere Frau mit einem etwas zänkischen, verkniffenen Zug um den Mund auf mich zu. Sie spricht mich schon von Ferne an, ob ich auf jemanden warte, und ich mache mir ihren Eifer nutzbar, indem ich mich als potentielle Mieterin zu erkennen gebe, die schönen Häuser lobe und um ihre Unterstützung bitte.
Jetzt ist sie gefragt. An was ich denn gedacht hätte? Hier in der Straße ist alles belegt, das weiß sie. Ich soll es eine weiter probieren, im Haus Nummer 8, bei Braun klingeln, das ist die Vermieterin. Die ist nett. Oben unterm Dach ist ein Zimmer frei, Koni, und Badewanne, hübsch hergerichtet, mit einem phantastischen Blick auf den Herkules und einem kleinen Sonnenbalkon, der nicht eingesehen werden kann.
»Preis müssen sie erfragen, junge Frau. Nur Mut.«
Ich bedanke mich bei ihr, sie strahlt mich an.
»Auf gute Nachbarschaft.«
»Vielen Dank und einen schönen Tag noch,« gebe ich zurück und wende mich in die angegebene Richtung. Das Haus kann ich mir ja kurz ansehen. In Augenblicken bin ich da, stehe entzückt davor. Es ist eine bestens erhaltene Jugendstilschönheit. Das Erdgeschoss teilen sich eine Ärztin und eine Anwältin, Braun im 1. Stock, kein Name an der obersten Klingel.
Die Tür geht auf. Ich sehe in ihre Augen. Sie fällt mir um den Hals, »Gut, gut«, sagt sie, lacht, klopft mir auf die Schulter. Ich habe gar keine Worte, bin am Staunen, wie einfach es ist, wie schön. Ich halte sie weiter im Arm, sie hat ein Strahlen im Gesicht, das die Sonne in den Schatten stellt, und einen Mund, so leicht geöffnet, lächelnd, und dem meinen so nah, dass es aussieht, als wollte er geküsst werden.

Wir treffen uns am nächsten Morgen, laufen durch den Park. Sie ist 40, sieht jünger aus und spricht nur wenig Deutsch. Da ist ein Prickeln zwischen uns. Sie hebt eine Kastanie auf, hält sie an mein Haar, das die gleiche Farbe hat. Unser beider Atem trifft sich zwischen uns. Ihr Gesicht kommt näher, unsere Lippen berühren sich sanft. Mit allen Sinnen tasten wir uns aneinander heran. Sie ist irgendwie kokett, hat so ein Locken, einen Blick, den sie bei halb geschlossenen Lidern unter den dichten Wimpern hervorschickt, und ist rundum malbar, das optimale Modell: beweglich, jung, reizend, maßlos attraktiv.
Ich mag ihre kleine, feste Zunge, die sie mir nach Stunden einfach in den Mund schiebt. Sevim drückt sich an mich. Wir gehen Hand in Hand zurück in die Stadt.

Tage später besucht sie mich sehr früh im Atelier, besieht sich alles ganz genau, lobt die Akte, die Porträts, tänzelt so ein bisschen um mich herum, nimmt das Kopftuch von den langen, dunklen Haaren und mich in die Arme.
Ich küsse ihr Bluse und Hemd vom Leib, ziehe sie aufs Bett, liebkose die Haut um den verbliebenen BH herum, bis sie ihn öffnet und mir ihre schweren, schönen Brüste in die Hand gibt. Sie ist üppiger als ich dachte, und ich finde kein Ende mehr an ihren großen, prallen Nippeln, sauge mich fest, spüre ihre Erregung.
»Wie Baby«, sie macht mit der Rechten die Bewegung für verbrannte Finger, pustet, lacht, sieht frech aus, irgendwie verwegen, zieht mich wieder an die Brust, genießt mich.
Sie streift Rock und Strümpfe ab und zeigt eine strahlend weiße, waschmittelduftende Vertreterin gerippter Leibwäsche, die sie vorerst anbehalten will. Ich küsse alles was unbedeckt ist an ihr, erkunde die Oberschenkel, züngle die Innenseiten so weit sie mich lässt nach oben, kehre wieder zurück, küsse ihren Mund.
Die Hose darf weichen. Sie hält die Beine geschlossen. Ich lecke ihre Brustspitzen. Die linke ist besonders empfindsam. Sie stöhnt. Sie mag es gerne am Busen. Ich kann ganz zart ihren Duft wahrnehmen.
Sie wird unruhig, bewegt sich, schaut entsetzt, murmelt »Blut?«, greift sich entschlossen zwischen die Beine ins Nass, ist erleichtert, erstaunt.
Mir ist mit einem Mal alles klar. Ich brauche nur in ihre Augen zu sehen. Sie will es erst nicht zulassen, dass meine Lippen ihre Hand berühren, doch dann beobachtet sie fasziniert, wie ich ihre Finger lecke und tiefer rutsche, ihren Bauch küsse, mich weiterschmuse, zu ihrem dichten, duftenden Haarbüschel. Sie hält die Schenkel zusammen und ich drängle mich sacht dazwischen, ein Ruck geht durch sie, etwas in ihr gibt nach, und sie nimmt die Beine weit auseinander. Sie legt ihre kleinen, kräftigen Hände auf die Oberschenkel. Ihr Atem ist ganz ruhig, sie fühlt meiner Zunge nach, die ihre Klitoris streichelt. Sanft, ganz sanft. Ich merke, wie sie aufwacht. Ihr Becken zuckt. Ihre Hände gleiten über meinen Kopf, die Fingerspitzen drücken, klopfen auf meine Schultern, bald folge ich ihren Anweisungen, schneller, fester, langsamer, sie drängelt sich an meine Zunge, schlägt, krallt, bäumt sich auf, ein Zittern durchläuft sie. Sie atmet schwer.
»Keine diese«, sagt sie nach einiger Zeit mit gerunzelter Stirn. Es war ihr erster. Sie hat es nicht gewusst und ihr Mann hat es nie getan. Nicht in 23 Ehejahren.

Wir trinken Gemüsesaft. Die üppige Venus tanzt vor dem Spiegel, hebt das volle, glänzende Haar, dreht sich vor mir. Sie trägt meinen Slip, er spannt ziemlich an ihrem herrlich prallen Hintern. Sie legt sich auf mich, gleitet an meine linke Seite, küsst sehr zärtlich meinen Mund, die Brüste. Sie legt die Hand auf meine Möse, bewegt sie langsam, betrachtet dabei mein Gesicht. Ihr Blick registriert alles, sie will meine Lust sehen und reibt mich sanft, kräftig, heftig, übertreibt es, und ich hauche sie an, halte ihre Hand ruhig und küsse ihr schönes Haar, ihr leicht gerötetes Gesicht, die neugierigen Augen, ihren Mund, der lacht, zu meinem Busen wandert, sich warm auf meine Klitoris senkt. Sie schmust mit meiner Möse, umschmeichelt die Klopfende, die sich gierig an ihre weiche Zunge drängt.
Sie beobachtet meinen Orgasmus, bleibt, drückt ganz sanft, beobachtet, sieht mir in die Augen, bleibt einfach, bewegt ihre Hand langsam weiter, und ich ergebe mich ihr, lasse sie verursachen und beobachten, experimentieren, bis ich sehr laut werde beim Kommen, sie zitternd an mich presse und mit einem »Schschsch« endlich zur Ruhe bringe.
Ich kann mich kaum noch bewegen. Gut ist mir. Ja. Denken geht ungut. Erklären schon gar nicht. Also mache ich es ihr nach, reibe zärtlich, liebe sie mit weicher, wilder Zunge, spiele vergnügt mit der von Höhepunkt zu Höhepunkt eilenden Klit und überhöre dann im Eifer fast ihr »Schschsch«.
Sie hält, küsst mich mit ihrem kleinen, hübschen Mund und streicht sanft über die brennenden Kratzwunden an meinen Schultern, die ihre Lust hinterlassen hat.
Sie knabbert an meinem Ohrläppchen, dann muss sie gehen, nein, wir laufen, um die Straßenbahn noch zu erwischen.

Am nächsten Morgen bin ich bei ihr. Eigentlich ist mir nicht nach Sex in der ehelichen Wohnung, aber sie hat ganz kurz gefeilte Fingernägel. Keine großen Begrüßungszärtlichkeiten, sie ist reine Gier, geht mir zielstrebig an die Wäsche. Ich sträube mich ein bisschen, habe noch die Unterhose an, da klingelt es. Ihr Mann kommt zurück und sie schiebt mich in den Schrank zwischen ihre Kleider. Es ist die klassische Situation. Na ja, nicht ganz. Mein Körper schüttelt sich nervös und leise in einem Lachanfall. Wenn ich jetzt husten muss, ist alles aus, dann kann ich mich mit diesem Musliman duellieren, morgens, im Nebel der Karlsaue. Oh, halt dich ruhig, Mädchen, ganz RUHIG!
Ich richte mich ein, so gut es geht, entspanne mich; trotzdem dauert es endlos und ich bin fast tot, als sie die Türe wieder öffnet. Ich küsse sie erleichtert, schlüpfe in die Kleider.
Sevim erklärt, dass ein Hydrant angefahren worden ist, ihr Mann das herausschießende Wasser abgestellt hat und völlig durchnässt wurde. Er hat heiß gebadet und sich wieder aufgewärmt.
Toll. Mitte November, der erste Schnee ist schon gefallen. Hoffentlich bleibt er gesund, der Held, sonst können wir unsere Vormittage vergessen.
Gleich kommt der Jüngste aus der Schule. Ich trinke einen schnellen Tee mit ihr, nehme sie zärtlich in die Arme und besuche Frau Braun.
Sie ist supernett und mit Künstlern hat sie die besten Erfahrungen. Den Beuys hat sie gekannt, der war immer sehr freundlich, nur leider, leider hat er nicht bei ihr gewohnt. Sie hat Gel im scheckigen, kurzen Haar und vermutlich jüngere Enkelkinder, denn für ihr Alter sagt sie ein bisschen sehr oft »Cool« und »Geil«.
Der Lift endet ein Stockwerk unterhalb. Sie sperrt auf. Die Aussicht ist überwältigend. Eine nette, kleine sturmfreie Bude.
Ich fahre zum Elch, natürlich. Ein Tisch, zwei Stühle, Lampen, eine Kommode, Teppich, etwas Wäsche, das Bett. Der nette Taxifahrer hilft, meinen Einkauf in den Aufzug zu laden. Es ist Abend, als ich glücklich in den Norden laufe.

Sie weiß noch nichts. Mit großen Augen steht sie im Lift, geht die paar Stufen hinauf, betritt das kleine Reich, bewundert den Blick über die Dächer, sagt »Hoch. Wie Vogel«, will etwas erklären, formt mit den Händen eine Schüssel, schaut mich lächelnd an. Ich nehme Papier und Bleistift, skizziere ein Vogelnest. Sie legt den Arm um mich, küsst mich auf die Wange. Ich zeichne noch zwei Vögelchen hinein, eine Sonne darüber und sie hängt es über den Tisch. Wir sitzen davor, Hand in Hand und ein bisschen ergriffen, weil es irgendwie schon mächtig kitschig ist, aber auch wunderschön.
Wir nennen unser Dachzimmer Liebesnest. Hier sind wir in Sicherheit, es gibt uns Freiheit, spart Wege und Zeit. Es ist Raum für uns. Eine ganze Welt. Wir richten uns ein.
Blumen stehen auf dem Tisch, sie macht kräftigen türkischen Tee in zwei übereinanderstehenden Kannen, oben den starken, schwarzen Tee, unten das kochende Wasser, und lehrt mich, ihn heiß mit Würfelzucker zu trinken, aus den zierlichen kleinen, goldgerandeten Gläschen, die sie mitgebracht hat, zusammen mit Untertellern, Löffelchen und etlichem anderen Geschirr.
Sevim liebt Süßigkeiten und hat so eine Art, sich anschließend die Finger zu lecken und erneut mit ihnen nach Süßem zu greifen. Verspielt ist sie, hat Puderzucker am Mund. Ich küss ihn ihr ab und sie leckt ihn von meinen Lippen.

Meist kommt sie morgens, bringt die Einkäufe mit herauf und verstaut sie im Kühlschrank, der zu diesem Zweck immer sehr leer bleibt. Manchmal ist meine Geliebte in Hausschuhen, dann sind die Hände noch schrumpelig, weil sie direkt aus der Waschküche kommt. Ihr Haar duftet nach frischer Wäsche und ich verzichte auf Parfüm und das Rauchen, damit sie genauso frisch riecht, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehrt.
Sie lernt Deutsch. Immer das, was sie gerade braucht.

»Ich habe keinen Verstand«, sagt sie ganz am Anfang einmal und meint, dass sie nicht versteht, was so schlimm sein soll, an unserem Tun. Was ist so verwerflich daran, dass wir uns lieben?
Wenn sie da ist, zeichne ich sie. Sie ist das geborene Modell. Sie genießt die Nichtbewegung: Was andere Juckanfälle bekommen lässt, entspannt sie. Und ich will der ganzen Welt meine Geliebte zeigen. Ich spüre, dass ich sie liebe, wenn ich sie male.
Gegen Mittag verlässt sie mich, ich laufe eine knappe halbe Stunde ins Atelier, erschaffe meine Bilder, sehne mich nach ihr, und kehre nach dem Pinselauswaschen und zuweilen erst gegen Morgen ins Nest zurück. Die doppelte Miete drückt etwas. Ich male wie eine Besessene, oft und gerne meine Liebste, aber auch: Hunde, Katzen, Großonkel, Erbtanten. Was an Aufträgen hereinkommt.

An den Sonntagen gehört sie ihrer Familie und ich der Kunst.
Samstage dagegen bergen die Chance, sie beim Einkaufen zu treffen, oder sie erscheint überraschend im Nest, auf einen Tee und ein paar Küsse, zumeist nur ein paar Küsse.
Nach einem halben Jahr lerne ich den Vater ihrer Kinder samstags auf dem Weg zum Bäcker kennen; ich tue mich schwer mit seiner Existenz; sie kommen mir entgegen, sie sagt »Das ist mein Mann«, und spricht dann zu ihm. Ich höre die Worte »Gymnastik« und »Frauengruppe« heraus, sie zeigt lächelnd auf mich. Ich gebe die Hand. Er nickt mir zu. Jetzt bin ich offiziell.

Am Freitagabend darauf hole ich sie ab.
Sie braucht noch ein bisschen. Ich bin auch zu früh. Der Mann bittet mich herein, sein Gesicht lächelt. Er ist verunsichert, hat schon von Emanzipation gehört, möchte nicht als Hinterwäldler dastehen, aber es ist schon ein hartes Brötchen für ihn, dass sie in letzter Zeit so viele außerhäusliche Aktivitäten pflegt. Es ist nicht üblich in muslimischen Familien.
Dann sagt er: »Ich liebe diese Frau.«
Sein Blick trifft mich, hält mich fest. Er hat »diese Frau« gesagt, nicht »meine«.
»Sie ist eine wunderbare Frau,« erwidere ich. Er hat nichts lächerliches, ist mir sogar sympathisch. Es gibt keinen Kampf, wenn er sie freigibt.
Im gleichen Moment erscheint Sevim, schaut von mir zu ihm und wieder zu mir, dreht sich in der Raummitte. Sie hebt den linken Unterarm, es ist das Zeichen für mich, ich eile an ihre Seite, der Mann öffnet die Türe, wir verabschieden uns und schreiten winkend die Treppe hinab. Sie hat ein wenig Rouge auf den Wangen und die Lippen geschminkt. Rot sind sie, verführerisch. Ich will sie küssen, schnell, noch im Hausflur. Wir stehen vor den Briefkästen. »Du bist schön«, raune ich ihr ins Ohr. Die Hausmeisterin schießt plötzlich um die Ecke, stutzt, grinst anzüglich und schiebt sich mit ihrem Dackel an uns vorbei nach draußen.
»Er ist ganz nett,« entwischt es mir zwei Straßen weiter. Sie bleibt kurz stehen und sieht mich an, als ob sie fragen will: du hast doch nicht geglaubt, ich hätte mich mit einem Idioten eingelassen?

Im Treppenhaus befreit sie sich vom Tuch, schlingt es um die Hüften, löst ihr Haar. Ich genieße die Blicke der anderen. Sie erregt Aufsehen. Lene fragt ganz direkt: »Türkischer Honig?« »Gefährlich süß«, antworte ich.
Sie tanzt. Eine große, schwere Lesbe im Unterhemd arbeitet sich an sie ran. Sie streicht der Glatzenfrau über den Kopf und um die beringten Ohren, bewundert den Schmetterling am Oberarm. Sie tänzeln ein wenig. Die im Hemdchen schaut ziemlich interessiert, legt den Arm um sie. Sevim lacht, zeigt auf mich. Die Glatze macht ein bedauerndes Gesicht, zuckt mit den Schultern und bleibt weiter auf Tuchfühlung.

Wir befolgen die kleinen Gesetze und brechen die Großen.
Ich bringe sie zeitig zurück, fünf vor zwei ist sie oben, und hole sie am Tag darauf zu einem Spaziergang. Wir küssen uns durch stille Wälder und sind überpünktlich zurück.
Dreist rufe ich an, als sie zur Gymnastik ist, und bitte den Mann um Hilfe: Ich möchte der Lieben eine Freude machen, es bietet sich die seltene Gelegenheit, an einer Vollmondwanderung teil zu nehmen, ob sie sich wohl überhaupt dafür interessiert und Lust hätte mitzugehen? Ich müsste uns jetzt schon anmelden. Was er dazu sagt?
Er überrascht mich, indem er mit wenigen Worten die alte magische Verbindung zwischen Frauen und Mond erwähnt. Er ist überzeugt, dass ihr so etwas gefällt.
Seine Stimme klingt ruhig und ein bisschen traurig, und mir ist mit einem mal klar, dass er mich durchschaut. Er weiß von uns und ich mache einen Narren aus ihm. Mit meinen 30 Jahren bin ich noch dabei, erwachsen zu werden.

Sevim hat das hinter sich, nimmt das Glück und lebt den Augenblick, ist erwartungslos, steht schon über den Dingen, wo ich noch hadere. Sie sagt, dass sie bei der Familie bleibt, solange jedenfalls, wie der Jüngste noch zuhause lebt, und dass sie das sauber zuende bringt.
Wir bewohnen beide zwei ganz verschiedenen Welten. Und unser beider Leben beschleunigt sich. Sie erledigt in kürzerer Zeit die vielfältigen Aufgaben eines Vier-Personen-Haushaltes, ich male konzentrierter, disziplinierter. Dann treffen wir im Liebesnest zusammen, leben für Stunden oder nur Augenblicke ein Gemeinsames; manchmal ist es mir unerträglich, wenn sie geht.

Ein weit entfernter Geburtstag steht an. Es gelingt ihr, die Männer alleine loszuschicken, und wir haben zwei Tage für uns. Es ist wunderschön mit ihr einzuschlafen, den warmen Atem der geliebten Frau auf der Haut zu spüren, am Morgen mit ihr zu erwachen.
Wir fahren nach Göttingen, es ist unsere erste Reise. Unterwegs nimmt sie das Tuch ab.
»Die Freiheit beginnt am Kopf«, sagt sie lachend, und zunächst will ich sie korrigieren, aber sie hat ja recht, meine Geliebte.
Wir streifen durch die Stadt. Die Anonymität schützt uns. Jung und anmutig ist sie, scherzt ausgelassen, probiert in einem Kaufhaus Schuhe, dann Hüte.
Ich will ihr Wäsche schenken, aber Sevim bewegt sich nicht in die Abteilung hinein, es ist ihr peinlich. Wir gehen in ein Fachgeschäft und sie gewinnt die ältere Verkäuferin zur Freundin. Ich darf im Korbsessel sitzen, warten. Die Auszubildende legt mir freundlich lächelnd einen bunten Prospekt auf das kleine Tischchen.
Die Komplizinnen tuscheln. Seit wann spricht sie so gut Deutsch? Sie schäkert mit dem Personal. Kann es wahr sein? Drei Frauen sind damit beschäftigt, ihr Wäschestücke zuzureichen, zu begutachten und abzunehmen. Ich darf nicht schauen. Ein Gegackere ist das. Da kommt sie auf mich zu.
»Komm«, sie küsst mich zärtlich auf den Mund. Mir scheint, die Herzen der Verkäuferinnen setzen für zwei oder drei Schläge aus, und allen stockt der Atem. Glücklich stehen wir an der Kasse. Vor der ganzen Welt will ich sie küssen.
Engumschlungen sitzen wir im Zug. Wir verbringen eine Nacht und einen Tag damit, dass sie nicht weg muss, mit Zärtlichkeit und Schmusen und der Stillung all unserer anderen Gelüste, bis sie am späten Abend dann doch geht. Wir küssen uns im Dunkeln vor dem Haus, kurz nur, eben so auf die Lippen. Im Weggehen sehe ich zu den Fenstern ihrer Wohnung hinauf. War da eine Bewegung an den Vorhängen?

Sie kommt mit großer Sonnenbrille, sieht ein bisschen wie ein Filmstar aus, mit dem Kopftuch und verhaltenem Lächeln. Irgendwie prominent. Darunter ist sie um das linke Auge herum grün und blau.
Wut. Ich habe Wut. Sie soll nicht mehr zurück. Ich kann für uns Geld verdienen, in Festanstellung arbeiten, uns beide ernähren. Sie ist frei, wenn sie will.
Ich nehme es schlimmer als sie. Für mich ist jetzt Krieg.
»Er wird es nie wieder tun.«
Wie kann so eine ruhige Gewissheit in ihrer Stimme sein? Ich wundere mich und weiß, dass sie recht hat. Sie kennt ihn.
Aber es ist ein guter Zeitpunkt, wir sind fast zwei Jahre zusammen, und sie weiß längst: ich mag nicht teilen. Auch wenn sie nicht mit ihm schläft. Der Junge ist groß genug. Sie soll mit mir leben. Die Stunden mit ihr genügen mir nicht. Ich will sie ganz, setze sie unter Druck. Sie entgleitet mir.

Zwei Wochen später sagt sie: »Wir besser Schluss. Viel Problem.« Ihre Augen sind fast wieder schön. Die kargen Worte dulden keinen Widerspruch. Sie verschließt sich der Sprache und nimmt die Zeichnung vom Nest mit sich. Zitternd sitze ich am Fenster. Ich ertrage es nicht, dass sie mich verlässt, es zerreißt mich.
Am Montag darauf schleiche ich in den ersten Stock, klingle. An der Tür steht ein anderer Name. Eine Fremde öffnet. Sie versteht meine Frage nicht, und ich nicht ihre Antwort. Mit einer Handbewegung scheucht sie mich weg. Ich laufe der Hausmeisterin in die Arme, die unten an der Treppe steht. Ob sie was weiß?
»Ihr Mann hat sie weggebracht. Das ganze Viertel hat doch schon geredet. Vergessen sie sie!«

Der kühle Herbstwind schafft es nicht, meine Tränen zu trocknen. Wie Sturzbäche kommt es aus meinen Augen, ich ertaste den Lift, das Geländer nach oben. Zitternd starre ich auf ihren leeren Stuhl und mit einem mal bin ich ganz ruhig. Ich rufe die Vermieterin an. Kein Problem. Besenrein und gut so. Sie ist noch für zwei Wochen am Edersee. Wir sehen uns. Ob ich erkältet bin?
Anruf bei der Stadt. Sperrmüll übermorgen. Wunderbar.
Die Kettensäge für 130.- DM aus dem Supermarkt habe ich eigentlich für eine Kunstaktion gekauft. Arbeitshandschuhe. Kleiner Probelauf. Keine Kunst. Kleinholz. Aus dem Tisch und den beiden Stühlen, der kleinen Kommode. Dann das Bett. Ich zerlege meine Träume. Es macht einen Höllenlärm. Genau das, was ich jetzt brauche. Ich habe nur Angst, dass meine Tränen einen Kurzschluss verursachen.

Knapp ein Jahr später duftet meine Post nach frischer Wäsche und ein wenig nach Amber.
»Alles gut. Viel Liebe. Bis gleich.« Ihre Nachricht kommt aus der Türkei, die Zeichnung vom Nest hat sie auf die Rückseite geklebt. Ich tanze einen Freudentanz. Meine Frau kommt zurück. Die Freiheit beginnt ...

Copyright Diana P. Bailey