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autobiografisch

 

 

Die Mitbewohner

Eine kleine Gruselgeschichte

 

 

 

 

 

 

 

Die Mitbewohner
von Diana P. Bailey

Ich kann nicht länger schweigen. Ich beobachte, verfolge, töte. Sie schaffen die Leichen der Umgekommenen vor ihre Behausungen, verkriechen sich in finstere Ecken und zuweilen glaube ich, aus der Dunkelheit heraus ihre angstvollen, hasserfüllten Blicke zu spüren. Ich schaue in die entferntesten Winkel, auch noch die letzte Brut zu vernichten. Meine Wut trifft alle.

Sie sind so viele, und ich wüsste gerne, ob mir die große Zahl und der Umstand, dass sie sich anscheinend ständig und mühelos reproduzieren, überhaupt eine Chance lässt, jemals über sie zu triumphieren. Wobei meine Siegesfreude eine gedämpfte sein wird. Zu hoch waren die Verluste auf beiden Seiten. Warum sind meine Mitbewohner auch so uneinsichtig? Ist dieser Planet nicht groß genug für unser beider Spezies?

Sie drängen in meine Welt, in der Einzahl fast unscheinbar, dunkel, krabbelnd. Nichts hält sie auf, keine Ritze ist ihnen zu klein zum flinken Entkommen, oder zum Eindringen mit zahllosen Gefährten. Sie sind geschickt und erfinderisch - und seltsam, es bedrückt mich mehr, einen Einzelnen der tapferen Späher sich im Todeskrampf winden zu sehen, als ganze Legionen von ihnen zu vernichten.

Was sie berührt haben, empfinde ich als unrein und mein Leben dreht sich seit Wochen, genau gesagt seit Ostersonntag, als der leckere, duftende, zuckerglasierte Hefekranz unter ihren unzähligen, kleinen, wuselnden Leibern verschwand, zunehmend um ihre Vernichtung. Um ihre Ausrottung. Denn wo sie sind, kann ich nicht sein.

Es beginnt morgens im Bad. Ich prüfe die Toilette bevor ich sie benutze, das Waschbecken, und während ich Zahnpasta auf die Bürste drücke, kriechen zwei kleine unter den Spiegel, alldieweil eine große, geflügelte meine Wade besteigt. Ääh! Weitere zwei von diesen besonders ekligen kille ich auf dem Weg zur Küche, wo ich ein sattes Halbdutzend von der sonnenbeschienenen Fensterscheibe klatsche, während mein Kaffeewasser heiß wird.

Zeit, einer Ungeflügelten den weiten Weg hin zum Schreibtisch abzunehmen und auch das Dasein ihrer fleißigen Mitarbeiter rund um den Computer zu beenden. Wieder in der Küche drücke ich rasch nacheinander ein paar unterschiedlich große an die Scheibe und gieße das Kaffeemehl an. Der Duft legt sich mir zärtlich aufs Gemüt, und ich reibe mir erst mal die Augen.

Wenn es kühl ist, sind nur ein paar unterwegs und sie scheinen sich langsamer und weniger zielstrebig zu bewegen. Doch sobald es ein bisschen wärmer ist, drängen viele heraus, erkunden Gelände und Gelegenheit, und wird ihnen nicht Einhalt geboten, folgen die Massen. Blitzende Sauberkeit scheint ihnen nichts auszumachen, allerdings hassen und fliehen sie in panischem Schrecken Spülmittel und Haushaltsreiniger, die ihre Chitinpanzer zersetzen. Ich nehme nun wöchentlich mit mehreren Kassenbons beim Jubiläumspreisausschreiben meines Putzmittelherstellers teil und hoffe zumindest auf einen der ausgelobten 150 Mark Gewinne. Zeitlich träfe sich das ganz gut.

Während ich mir so meine Gedanken zum Morgen mache, betrachte ich die Umgebung der Wohnzimmertüre, prüfe den Türrahmen und beim Durchschreiten gleich den Boden, die Wände und Fenster auf kleinste Zeichen von schwarzer Bewegung. Mutig leuchtet die rote Fliegenklatsche in meiner Hand.

Ich hole so einige vom Glas und bemerke entzückt, wie eine der Verfolgten sich in den von mir bislang unbemerkten Spalt zwischen Fensterrahmen und Fensterbrett verkriecht. Dahinein das Gift.

Es muss sein. Sie oder ich.

Das teure, übelriechende Sprühzeug scheint nicht viel zu helfen, eher schon das klebrige Gemisch aus den Fallen, die sie allerdings, schlau wie sie sind, nicht betreten, und das ich ihnen mit Wattestäbchen und Papierstreifen nahe bringe.

Die Flügellosen sind recht widerstandsfähig und gute Schwimmer. Sie treiben sich gerne in der Kloschüssel herum, überleben Stürze aus ein Meter Höhe und mehr, tragen vergleichsweise riesige Lasten und wenn sie irgendwo hinwollen, kommen sie meistens auch hin. Langsam. Zäh. Beharrlich.

Von daher müssten sie mir eigentlich sympathisch sein. Aber das Gekrabbel graust mich, und dann rede ich zu ihnen, sage ihnen, in der Verzweiflung manchmal auch ins Englische fallend, dass sie sterben müssen, da ihre Unvernunft sie nicht weichen lässt; und manchmal wird mir philosophisch, wenn ich so morde den ganzen Tag.

Zuweilen gilt mein letzter Blick am Abend ihnen, mein letzter Gedanke und der erste am Morgen, und käme es mir in den Sinn, gerade jetzt zu verreisen, wüsste ich mein Hab und Gut unter ihren Leibern begraben.

Im sanft duftenden Entspannungsbad liegend, erwische ich mich bei Gedanken, dass sie da hinter den Fließen sein müssen, und ihre Nester irgendwo in den Mauern und Ritzen.

Eine, die einmal meine Freundin war, sagt in diesen Tagen: stell dich nicht so an, anderswo haben sie Kakerlaken und Weiß-Gott-Was in der Wohnung.

Der Göttin ist bekannt, dass ich seit Pfingsten weiß, dass es für mich eine einjährige Erscheinung sein muss. Ich kann einen Frühling meines Lebens mit Ameisenbekämpfung verbringen, vielleicht auch einen ganzen Sommer; kann meine Taktik verfeinern und diese Mitbewohner immer gezielter jagen und zur Strecke bringen. Ja, ich kann mein Leben mit Ameisenkillen verbringen und Kammerjägerin werden! Aber ich will nicht. Ich mag das Morden nicht. Und nicht den Geruch des Todes in der Luft.

Ich will meinen Kuchen alleine essen und alleine baden.

Natürlich heißt es zuerst, ich würde die Sache überbewerten und dies sei ja nun wirklich kein Minderungsgrund, so ein paar kleine Tierchen, und auch nur saisonweise, junge Frau.

Aha.

Dann wird gekürzt und mir ist erlassen, jemals Nachmieter vorzuschlagen.
Die wollen mich gefügig machen, ruhig stellen.

Doch ich freue mich schon auf den Umzug.
Und vorher sage denen, die nach mir hier einziehen wollen, was ich getan habe. Sie sollen sich gut überlegen, ob sie so tierlieb sind und mit den vielen Krabblern klar kommen.
Und dann esse ich meinen Osterkranz. Woanders.

Copyright Diana P. Bailey